Bernhard Holeczek +:
" Unpräzises zu einem Präzisen"
Textauszüge
Stille: In seinem 1971 für den Katalog zur Ausstellung in Münster verfassten Beitrag, der auch nach fünfzehn Jahren nichts von seiner Gültigkeit verliert und somit noch immer das beste darstellt, was über den Künstler geschrieben wurde, hat Johannes Cladders das Formenvokabular Ruthenbecks als "klassisch" charakterisiert und ergänzend das Epitheton "still" hinzugefügt "als Eigenschaftsbezeichnung für Einfachheit, Selbstverständlichkeit, Natürlichkeit und Wahrheit". Damit solch hohem Ethos auch nicht der Hauch eines moralinsauren Beigeschmacks anhafte, seinen, in der Worte bestem Sinne, Kalkül und Raffinement sowie geschulte als auch instinkthafte Sicherheit im Setzen als Qualitäten beigestellt. Überraschend ist, dass Johannes Cladders seine Einschätzung traf, bevor Reiner Ruthenbeck sich 1972 der „Transzendentalen Meditation“ zuwandte. Seine Arbeiten sollten "natürlich keine Illustration der Transzendenz darstellen", äusserte sich Ruthenbeck jüngst in einem Gespräch mit Suzanne Pagé, "die Meditationserfahrung drückt sich in meiner Kunst aber sicher aus".
Werkgenese: Häufig steht am Anfang die Zeichnung. Es kann allerdings Jahre dauern, bis eine zeichnerisch fixierte Vorstellung im selektiven Vorgehen des Künstlers ihre Realisierung als Objekt findet. Der endgültigen Fertigstellung gehen oft verschiedene Roh- oder Versuchsfassungen voraus. Größere Rauminstallationen werden anhand maßstabgetreuer Modelle auf die Angemessenheit der Proportionen überprüft. Die Gewissenhaftigkeit der Vorgehensweise erlaubt nur eine geringe Produktion. Es gab Jahre, in denen nicht einmal zehn Objekte entstanden, selten eines, das mehr als fünfzehn hervorbrachte. Auch daran dürfte sich die künstlerische Integrität Ruthenbecks erweisen, denn um ein Wort von Kurt Tucholsky heranzuziehen: "man kann, wenn man Pech hat, Flöhe aus dem Ärmel schütteln, Kunstwerke nicht".
Polaritäten: Der bestimmende Faktor im Werk Ruthenbecks sind
Gegensätze, deren Spannung und ihre Auflösung. Man könnte geradezu vom
übergeordneten dualistischen Prinzip sprechen, das auch bei
unterschiedlichsten Arbeiten ein tertium comparationis abgibt. Dem
Materialkontrast kommt hier eine frühe und entscheidende Bedeutung zu, Entsprechungen
im Formalen schließen sich zwangsläufig an. Ohne langes Suchen addiert sich
bald ein gutes Dutzend an Begriffspaaren, die uns auf die eine oder
andere Art, mehr oder minder stark ausgeprägt in jedem Objekt Ruthenbecks
begegnen: Weich / hart, hell / dunkel (auch im Farbkontrast schwarz / weiß),
warm / kalt, leicht / schwer, durchsichtig / undurchsichtig, männlich /
weiblich auch, wie für warm / kalt, in der Gegenüberstellung der Farben Rot /
Blau, offen / geschlossen, rund / eckig, amorph / gestaltet, entspannt /
gespannt, schlaff / straff, labil / stabil. Die Auflistung von
Gegensatzpaaren könnte noch beliebig fortgesetzt werden, etwa für die
(wenigen) kinetischen Objekte um Ruhe und Bewegung oder Aktion und
Reaktion.
Gegensätze werden nicht willkürlich einander
konfrontiert, sondern sie werden in Beziehung gesetzt, in ein Verhältnis
zueinander gebracht mit dem Ziel einer formalen Lösung ihrer scheinbaren
Unvereinbarkeit.