REINER
RUTHENBECK Interview mit
Kirsten Voigt, 2.10.1993 Copyright: Badisches
Tagesblatt, (Ausschnitt und leicht korrigierte Fassung) BT: Herr Ruthenbeck, Sie sind, wie Sie selbst einmal
sagten, unter anderem deshalb als Schüler zu Joseph Beuys an die Düsseldorfer
Kunstakademie gegangen, weil Sie Beuys für einen Surrealisten hielten. Hat
der Surrealismus heute noch eine Bedeutung für Sie? RR: Ich war vom Surrealismus einmal sehr fasziniert,
heute bin ich es manchmal noch, wenn ich vereinzelte Werke sehe. Aber das
äussert sich überhaupt nicht mehr in meiner Arbeit, davon bin ich weit weg.
Der Surrealismus wird nach meiner Auffassung ausschliesslich aus der
Sexualität gespeist, und deshalb dreht er sich im Kreis und wiederholt sich.
Ich suche in meiner Kunst übergeordnete Prinzipien. BT: Welche Prinzipien, welche Ideen sind für Ihre
Auseinandersetzung mit Abstraktion zentral? Wieviel Geist steckt für Sie in
der Form? RR: Ich versuche, einen möglichst
hohen Grad von Abstraktion zu erreichen und bin dazu gekommen, bildnerisch
vor allem mit Polaritäten zu arbeiten: Schwarz / Weiss, Blau / Rot, Hart
/ Weich und so weiter, weil dies die höchste Form von Abstraktion für
mich ist. Jeder Schritt darüber hinaus führt aus dem Darstellbaren
heraus. Ohne Polarität gäbe es nur reines, unmanifestes Sein. Dieses kann man als Künstler vielleicht erahnen
lassen, indem man die Polaritäten so ins Gleichgewicht bringt, dass ein
Gefühl von Einheit entsteht, von Ganzheit, von Ruhe und Balance im
Bewusstsein. BT: Sie haben Polarität als Prinzip von Schöpfung
beschrieben. Meinen Sie das in einem mythischen, kosmogenetischen Sinn? RR: Ich bin etwas geschult durch die Beschäftigung mit
vedischer Philosophie. Da gibt es das Wissen, dass es zunächst ein
ungeteiltes, unmanifestiertes, reines Sein gab, das, aus einer Art
überfliessendem Verlangen heraus, den Wunsch bekam, sich selbst wahrzunehmen.
Es wurde dadurch dual oder besser, zur Dreifaltigkeit: mit Subjekt, Objekt
und dem Vorgang der Beobachtung als dynamischer Verbindung zwischen Subjekt
und Objekt. Im Bild der Dreifaltigkeit entspricht dem wahrscheinlich die
Taube als Bote. Diese drei Kräfte bauen die Schöpfung erst auf: Subjekt,
Objekt und Vorgang der Beobachtung. Als Künstler kann ich das nur
insofern anklingen lassen, als ich versuche, den Betrachter eine Art Balance
erfahren zu lassen. Nimmt man das, was ich jetzt gesagt habe, und sieht man sich meine
Arbeiten an, so sollte aber klar sein, das ich nicht das vedische oder
irgendein anderes Wissen illustrieren will, sondern ich betrachte die
Ausübung von Kunst wie gesagt als eine Artvon Spiel. Vielleicht ist
Spieltrieb auch der Grund warum sich die Schöpfung überhaupt gebildet hat.
Ich finde Kunst, die einer festen Theorie folgt, eher unerfreulich. Ich
interessiere mich eben für dieses Wissen und in manchen Arbeiten wird davon
vielleicht etwas fühlbar und dieses Wissen hat mir sicher auch geholfen,
meine Arbeiten derartig zu reduzieren. BT: Die Überkreuzung ist eines lhrer
zentralen Motive. Mich interessiert sie sehr, weil ich mich frage, was
in diesem Kreuzungspunkt eigentlich passiert. Passiert da was? RR: Der Kreuzungspunkt steht für Vereinigung der
Gegensätze, wenigstens konzeptuell. BT: Wieviel Kunstgeschichts-Spiegelung oder -Kommentierung
betreiben Sie mit Ihren Arbeiten - etwa denen über das Quadrat, RR: Eigentlich gar keine. Malewitsch hat das Quadrat
nicht erfunden. Er war fasziniert, ich bin es auch. BT: Ihre Arbeiten in der Baden-Badener Ausstellung
wirken noch reduzierter als viele frühere, die frei im Raum standen. RR: Das rührt vermutlich aus dem Wunsch zur
fortschreitenden Abstraktion. Vor ein paar Jahren habe ich parallel zu meinen
abstrakten Arbeiten noch "Tischobjekte" hergestellt. Dazu gehe ich
nun bewusst auf Distanz, da ich sonst zu stark in das Designdenken der
letzten Zeit geriete. BT: Damit rücken Ihre Objekte in die Nähe von Bildern.
Sie ziehen sich aus dem Raum zurück. RR: Es ist im Grunde wohl ein Rückzug aus der Materie. Mit
Malerei hat es nichts zu tun. Maler haben ganz andere Probleme als ich. Es
sind keine Darstellungen, es sind Dinge, die ich schaffe. Ein Rückzug aus der
Materie mag es wohl sein, ich will keine großen Materialschlachten mehr
schlagen. Ich finde, dass es auf der Welt schon so viele Dinge gibt, die
möchte ich nicht noch unnötig vermehren. Meine Arbeiten für die Baden-Badener
Ausstellung passten in einen Kleinbus. Das gefällt mir. Ich bin ein grosser
Freund der Konzept-Kunst. Eigentlich braucht gar nichts dazusein. Das Konzept
genügt. Ich habe auch Entwürfe für Arbeiten, die im Raum stehen, aber ich
habe gar nicht so ein großes Interesse daran, die auszuführen, weil die dann
wieder rumstünden. BT: In der Baden-Badener Kunsthalle legt man
grundsätzlich Wert darauf, die Präsentation sehr genau auf den Raum zu
beziehen.Welche Rolle hat das für Ihre Planung gespielt? RR: Ich stelle mich natürlich mit meiner Auswahl immer
auf den jeweiligen Ausstellungsort ein. Ich habe mit dem Computer vorgeplant,die Wandflächen masstabgerecht übertragen und die Werke
darauf angeordnet. Das geht viel schneller, als wenn man das hier
ausschließlich mit den Dingen vor Ort tut. BT: Aber mit der Werkentwicklung hat der Computer nichts
zu tun? RR: Nein, ich benutze ihn nur als Archiv und zum Planen
von Ausstellungen. BT: Welches Verhältnis haben Sie, hat Ihre Kunst zur
Wissenschaft? RR: Ich habe ein großes Interesse an der
Elementar-Physik und an der Bewusstseinsforschung. Man sollte sich als
Künstler der heutigen Zeit mit der Wissenschaft beschäftigen. Man muss die
Details nicht verstehen - die verstehen zum Teil noch nicht mal die
Wissenschaftler. Aber es gibt sehr interessante Verbindungen zwischen
Bewusstseinsforschung und Physik. Der Wissenschaftler drückt sich mit Formeln
aus, als Künstler kann ich versuchen, bildhafte Formeln zu finden, die einen
gewissen Einfluss auf das Bewusstsein der Menschen haben. Ich versuche, den
Betrachter durch meine Kunst zu "entkomplizieren" und ihn damit
wenigstens für einen Moment auf sich selbst zurückführen. |